Wer ist die faszinierende Frau, die von Kitsch bis Kunst alles singt, was Noten hat?

Thomas Woitkewitsch, Texter ihrer deutschen Lieder, zeichnet das Porträt der rothaarigen Pantherin.

Ist Milva eine Diva, unnahbar, zickig, voller Allüren, oder stimmt das Etikett "La Pantera" (die Pantherin)? Oder entspricht sie dem Bild der emanzipierten starken Frau, die weiß, was sie will, und einer überheblichen Männerwelt die Stirn bietet? Handelt es sich bei ihr um eine Femme Fatale, um ein intellektuell angehauchtes, kritisches Wesen, oder um ein hingebungsvolles Schmusekätzchen? Oder ist sie, nicht nur der Kleidung nach, lediglich eine Mode-Erscheinung?

Auf den Cover-Fotos ihrer vielen Langspielplatten sieht sie jedes Mal anders aus: mal mondän, ganz große Dame, dann wieder lässig und zum Anfassen, mal fröhlich oder nachdenklich-introvertiert. Milva hat viele Gesichter.



Ob nun die vielfältige Betätigung Milvas Wesen geprägt hat oder ob umgekehrt ihr Charakter erst die Vielschichtigkeit der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeit ermöglichte, wage ich als ihr Leibtexter nicht zu beurteilen - ich bin befangen. Doch die langjährige Zusammenarbeit hat mir den Menschen Milva verständlich gemacht. Ich will versuchen, zum Kern vorzudringen, der unter der Image-Schale steckt.

Milvas Lieblings-Satz "sono distrutta" (ich bin kaputt) habe ich wohl schon tausendmal von ihr gehört. Vor jedem Auftritt ist sie ein Häuflein Elend, ein Nervenbündel. Stressforscher hätten an ihr ein dankbares Forschungsobjekt. Sie zeigt alle Symptome von Schwindelanfällen bis zu unerträglichen Magenschmerzen. Man muss befürchten, dass sie jeden Moment unter dem Druck zusammenklappt.

Ich erinnere mich an einen denkwürdigen Abend in Hamburg, an dem 2000 Menschen erwartungsvoll auf ihren Star warteten und sich hinter der Bühne in Milvas Garderobe wahre Dramen abspielten. Milva hatte sich mit ihrer deutschen Freundin eingeschlossen. Auf dem Gang standen mit betretenen Gesichtern die Musiker. Der Tonmeister schien seinen Selbstmord zu planen; der Tournee-Veranstalter rang die Hände (und was waren das für Pranken!); der Boss ihrer Schallplattenfirma - auch ein stämmiger Mann - wirkte völlig gebrochen. Und ich versuchte vergeblich, mit sanften Worten und lautem Klopfen zu meinem angeschlagenen Star vorzudringen.

Was war geschehen? Es gab große Probleme mit dem Ton in der Halle, und außerdem hatte Milva ein Attest vom Arzt bekommen, der ihrem Handwerkzeug, oder besser ihrem Mundwerkzeug, den Stimmbändern, dringende Schonung angeraten hatte.

Als wir alle dachten, jetzt ist es aus, wankte Milva bleich an uns vorbei auf die Bühne und leistete wieder mal ganze Arbeit. Das ist typisch für sie: Sie kann sich nicht schonen; sie muss sich verausgaben.

Doch nach jeder Vorstellung fühlt sie sich, wie sie selbst sagt, "leer, erledigt, tot". Sie geht nicht mehr aus wie so viele Künstler, die vom Auftritt so aufgeputscht sind, dass sie noch versacken müssen, bevor sie die nötige Bettschwere haben. Sie fährt allein ins Hotel und kann natürlich auch nicht gleich einschlafen. Sie entspannt sich auf eine seltsame Weise: Sie wäscht im Handwaschbecken kleine Wäsche oder räumt pedantisch ihre Sachen auf.

Milva gibt bereitwillig Autogramme, und wenn sie gerade eine neue Schallplatte besungen hat, versäumt sie nie, die Autogrammjäger eindringlich auf den Erscheinungstermin hinzuweisen - auch dann, wenn es sich um Leute handelt, die nicht gerade wie Schallplattenkäufer wirken. Promotion muss sein.

Milva hat keinen Manager. Sie führt ihre Gagen-Verhandlungen selbst, und die sind gefürchtet. Sie war 16 Jahre alt, als ihr Vater durch einen Unfall seine berufliche Existenz verlor. Die junge Schlagersängerin wurde von einem Tag auf den anderen zum "Capo die familia", zum Ernährer der Familie.


Sie tingelte in Kneipen und Tanzschuppen, um sich und die Familie über Wasser zu halten. Eltern und Tochter hassten diese Brotauftritte; Milvas Lehrjahre waren Horrorjahre. Aber diese Zeit erklärt ihr geradezu pingeliges Verhältnis zu Geld. In diesem Punkt kann das zarte Persönchen knallhart sein. Und wenn ein auch noch so ausgebufftes Schlitzohr versuchen würde, sie auszutricksen - es würde ihm nicht gelingen.

Milva im Schallplattenstudio ist ein anderes Kapitel. Auch hier schont sie wieder sich noch andere. Sie ist kein Geschöpf aus der Retorte, das ein cleverer Produzent so formen könnte, wie er es für richtig hält. Sie redet mit - und wie! Wenn sie etwas nicht singen will, weil ihr Musik oder Text nicht schmecken, dann singt sie es nicht. Basta. Das heißt nicht, dass sie stur auf ihrem Willen beharrt: Sie lässt sich durch gute Argumente überzeugen. Aber sie hat feste Vorstellungen von dem, was ihr vor dem Mikrophon über die schönen Lippen kommen soll.

Sie gibt sich nicht so schnell zufrieden, hat mit ihrem Perfektionismus schon manchen Tonmeister und manchen Produzenten zur Verzweiflung gebracht, und sie entwickelt im Studio ein Stehvermögen, bei dem wir anderen nur durch starken Kaffee mithalten können.

Wie oft wetterte Milva über meine Zungenbrecher: "Zu schwierige Wörter, unmöglich!" In solchen Momenten beneide ich manchmal meinen berühmten Kollegen Bert Brecht, der für ihre italienische Zunge auch nicht immer mundgerecht formuliert hat, den sie aber nicht mehr beschimpfen kann.

Ich möchte auch nicht Nachbar in Milvas Hotelzimmer sein. Bis spät in die Nacht hinein probt sie unermüdlich, unterbrochen von wüsten Flüchen, die deutschen Texte, die ich ihr mit einem brüchigen Bariton auf Kassette vorgesungen habe, um sie auf den nächsten Tag gut vorzubereiten.

Aber im Ernst: Ich bewundere mindestens ebenso wie Milvas Stimme ihre Fähigkeit, Lieder in einer ihr fremden Sprache so überzeugend zu interpretieren, als habe sie jahrelang bei uns gelebt.

Aber wenn der Produktionsschmerz vorbei ist, wenn die Bänder und das Aufnahme-Team fix und fertig und die Szenen- und Richtungskämpfe überstanden sind, dann wird gemeinsam gefeiert.

Und dann zeigt Milva ein Gesicht, das mir von all den vielen Gesichtern, die ich an ihr kenne, das liebste ist: Sie taut auf, zeigt allen Beteiligten Dankbarkeit, erzählt von ihrer Familie, erkundigt sich nach unserem Privatleben, lacht über den größten Blödsinn, macht den größten Blödsinn, blüht auf, hat keine Magenschmerzen mehr und brennt schon auf ihr nächstes Projekt, das kaum einen Tag auf sich warten lässt.



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